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Lucy Redler

Jahrelang Mitglied im Parteivorstand DIE LINKE

 

Für mich ist der Kampf für Gleichberechtigung kein von anderen Kämpfen getrenntes Thema.

Rosa Luxemburg wäre am 5. März 2021 150 Jahre alt geworden und zählt zu meinen weiblichen Vorbildern.

 

  • Welche Bedeutung hat Feminismus für dich?

Das Thema Gleichberechtigung von Frauen hat mich schon bewegt, als ich noch Schülerin war. Mit 16 Jahren habe ich mich in Kassel für den Erhalt des dortigen Frauenhauses engagiert. Heute gehen weltweit noch viel mehr Frauen (und auch Männer) gegen Gewalt gegen Frauen auf die Straße, siehe beispielsweise die Massenproteste in Lateinamerika, Spanien und Indien. Auch andere Themen wie das Recht auf Schwangerschaftsabbruch oder gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit sind sehr aktuell und haben eine hohe Mobilisierungskraft. Erinnert sei an die Tausenden Frauen in Island, die am 24. Oktober 2016 um 14:38 Uhr einfach ihren Arbeitsplatz verlassen haben, um darauf aufmerksam zu machen, dass sie ab diesem Tag im Jahr – im Vergleich zu den Löhnen ihrer männlichen Kollegen – umsonst arbeiten.

In vielen Ländern stehen Frauen in der ersten Reihe von Bewegungen: Bei den Aufständen gegen die Militärdiktatur im Sudan, bei den bereits erwähnten Demonstrationen gegen sexualisierte Gewalt, bei Streiks von Lehrer*innen in den USA oder Streiks für mehr Personal im Krankenhaus in Deutschland, beim Kampf gegen das Abtreibungsverbot in Irland und Polen und bei den Klima-Protesten in Deutschland. Ich bin immer wieder beeindruckt von der Kampfkraft vieler Frauen trotz ihrer Doppelbelastung als Lohnabhängige und Mutter.

Ich selbst verstehe mich als sozialistische Feministin. Für den Großteil der Frauen aus der Arbeiter*innenklasse macht es keinen Unterschied, ob im Vorstand eines Konzerns eine oder vier Frauen sitzen. Wir leben in einer Klassengesellschaft, die auf Spaltung unter anderem nach Geschlecht und Herkunft basiert, um möglichst hohe Profite zu generieren. Wenn wir dauerhaft mit Sexismus und Rassismus brechen wollen, geht das nur, wenn wir die Klassengesellschaft abschaffen, in der Kapitalisten ein Interesse daran haben, dass Frauen für ein Großteil der Hausarbeit verantwortlich sind und obendrein schlechter entlohnt werden. Und gleichzeitig gibt es in einer sozialistischen Gesellschaft keinen Automatismus für Frauenbefreiung und Gleichberechtigung. Deshalb ist es für mich wichtig, heute jeden Schritt zur Verbesserung der Lage von Frauen zu unterstützen und diese Kämpfe mit der Perspektive der Abschaffung des Kapitalismus zu verbinden.

Wenn wir aber nicht einfach die drei übrigen Vorstandsposten, sondern umfassende Verbesserungen durchsetzen und die Kontrolle und Verwaltung der Betriebe erlangen wollen (und am besten die Vorstände abschaffen wollen), müssen wir uns mit unseren männlichen Kollegen zusammen schließen. Und das gilt auch schon heute bei unseren ganz alltäglichen Auseinandersetzungen. Ich arbeite als Lehrerin. Wenn ich Verbesserungen wie Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich durchsetzen will, geht das nur zusammen mit meinen Kolleg*innen.

  • In welcher Weise bringst du Feminismus in deine politischen Themen ein?

Für mich ist der Kampf für Gleichberechtigung kein von anderen Kämpfen getrenntes Thema. Ich bin zum Beispiel in der Bewegung der Beschäftigten im Krankenhaus für mehr Personal aktiv. Die Mehrheit der Beschäftigten ist weiblich. Wenn es gelingt, bedarfsgerechte Personalstandards durchzusetzen, wäre das ein riesiger Erfolg aus gewerkschaftlicher, politischer und feministischer Sicht. Aufgabe von Sozialist*innen ist heute aus meiner Sicht auch, darauf hinzuweisen, dass die Zusammensetzung der Arbeiter*innenklasse weiblicher und migrantischer geworden ist. Es ist wichtig, dass diese Kolleginnen auch an vorderster Front der Kämpfe zu sehen und zu hören sind.

  • Welche Frage bewegt dich, wenn es um das Thema Feminismus geht?

Seitdem ich selbst Mutter einer kleinen Tochter bin, bewegt mich das Thema persönlich noch mehr, weil die alten geschlechtsspezifischen Rollenverteilungen bei vielen Familien mit Kindern noch stärker wirken als bei Paaren ohne Kinder (zumindest bei Hetero-Paaren ist das so). In Berlin sind die Spielplätze auch voll mit Vätern mit ihren Kindern, da hat sich einiges geändert, auf den Dörfern ist es heute bestimmt oft noch anders. Aber insgesamt ist die Kindererziehung in den meisten Familien weiterhin vor allem Frauensache. Da liegt noch ein großes Stück Weg vor uns.

Gleichzeitig merke ich, wie schon bei kleinen Kindern die Einteilung in geschlechterspezifische Rollen funktioniert. Ich frage mich, ob die Jungen in der Krippe eigentlich auch gesagt bekommen, wie schick sie heute mal wieder aussehen oder ob sie zu Hause auch mit Puppen spielen. Wobei ich das Spielen mit Puppen heute viel sinnvoller finde als mit Autos….

Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der Kindererziehung und Hausarbeit als gesellschaftliche Aufgaben verstanden werden und es gesellschaftliche hochwertige  Angebote zur Kinderbetreuung und Altenpflege, aber auch für gute kostengünstige Kiezküchen und Repairwerkstätten gibt, die allen offenstehen. Die separate Kleinfamilie, in der (nicht besonders ökonomisch und ökologisch sinnvoll) jeden Tag für einen kleinen Haushalt gekocht, gewaschen, geputzt und alte oder kranke Menschen gepflegt werden, könnte durch gemeinschaftliche solidarische Angebote entlastet werden. Wer trotzdem Lust auf jeden Tag waschen, kochen und putzen zu Hause hat, kann das natürlich herzlich gern weiter tun. Der Kapitalismus basiert aber gerade darauf, dass diese Arbeit in weiten Teilen nicht gesellschaftlich organisiert wird, sondern durch die Eltern (vor allem die Frauen) als Reproduktionsarbeit geleistet wird.

  • In welcher Weise beeinflussen nach Deiner Einschätzung die Entscheidungen, die während der Pandemie getroffen worden sind, die Situation von Frauen?

Ich denke, Frauen sind in stärkerem Ausmaß von den Entscheidungen der Bundesregierung betroffen, weil sie oftmals die Begleitung des Homeschoolings übernehmen oder die Betreuung der Kitakinder zu Hause. Nötig wäre eine 100% Lohnfortzahlung für alle (Männer und Frauen), die aufgrund der Kinderbetreuung nicht arbeiten können, so lange die Pandemie andauert.

Zudem sind viele Frauen in systemrelevanten Berufen beschäftigt und dort einer größeren Gefährdung ausgesetzt. Das sind oftmals Berufe wie beispielsweise in der Pflege und dem Einzelhandel, die schlecht bezahlt sind oder in denen Überstunden die Regel sind. Aber auch die Beschäftigten im Logistikbereich sind völlig unterdurchschnittlich bezahlt. Auch hier wird deutlich, dass eine bessere Bezahlung in diesen Berufen nur gemeinsam und mit starken Gewerkschaften durchsetzbar ist.

Frauen sind während des Lockdowns auch viel stärker gewalttätigen Partnern ausgesetzt. Auch das Netz von Frauenhäusern und Beratungsstellen gehört ausfinanziert und ausgebaut.

Die Pandemie macht diese Missstände wie unter einem Brennglas deutlich. Grundlegende Verbesserungen müssen aber nicht nur für den Zeitraum der Pandemie, sondern darüber hinaus erkämpft werden. Dafür müssen wir gemeinsam aktiv werden, geschenkt wurde der Arbeiter*innen- und Frauenbewegung noch nie etwas.

Zum Schluss: Ich fände es schön, wenn sich zukünftige Generationen bei „Rosa“ weniger an eine Lieblingsfarbe kleiner Mädchen, sondern an Vorkämpferinnen wie Rosa Parks und Rosa Luxemburg erinnern. Rosa Luxemburg wäre am 5. März 2021 150 Jahre alt geworden und zählt zu meinen weiblichen Vorbildern.

 

Liebe Lucy die BAG LiSA dankt dir herzlich für Deinen Beitrag