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Mit Corona zurück in die Vergangenheit

von Ingrid Jost

So lange ist es noch gar nicht her, dass Frauen neben Haushalt und Kindererziehung von ihren Männern die Erlaubnis erhalten mussten, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch lange kein alter Hut ist, wird Familien und vor allem auch alleinerziehenden Müttern und Vätern in der Corona-Pandemie schmerzhaft bewusst.

Existenzabsicherung, Einkaufen, Kochen, Kinderbetreuung und Unterricht, Zusammenleben auf zum Teil engsten Raum. Ist es schon eine Herausforderung, wenn sich zwei Partner die Kinderbetreuung und die Hausarbeit teilen, Alleinerziehende jedoch bringt es an die Grenze ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit. Diese Situation wird dadurch verschärft, dass auch für die Kinder der normale Alltag weggebrochen ist und sie mangels Kontakt mit anderen Kindern erheblich mehr Zuwendung brauchen. Krisenangebote und Online-Beratungsangebote können die Situation hilfreich entzerren, wenn sie denn im ausreichenden Maß finanziert werden. Wer schon einmal versucht hat, zeitnah einen nötigen Therapieplatz zu bekommen, wird daran berechtigte Zweifel hegen.

Der Notfall-Kinderzuschlag seit dem 1. April wird die finanziellen Sorgen zwar mildern, doch die Sorge um die existenzielle Absicherung bleibt. Eine Anfrage an das statistischen Bundesamt ergab, dass fast 450.000 Alleinerziehende in sogenannten „systemrelevanten“ Bereichen, allein 180.000 im Gesundheitswesen, 117.000 in der öffentlichen Verwaltung, 50.000 im Lebensmittel-Einzelhandel, 36.000 im Bereich Finanzdienstleistungen und Versicherungen sind. Rund 1,8 Millionen Alleinerziehende sind erwerbstätig, die trotz „Systemrelevanz“ konfrontiert sind mit fehlender bzw. mangelnder Kinderbetreuung, reduziertem Schulbetrieb und einem hohen Armutsrisiko, weil diejenigen hochgelobten Leistungsträger in der Krise häufig über kein dementsprechendes Gehalt verfügen. Die Ausweitung der Notfallbetreuung nach landesspezifischen Gegebenheiten beinhaltet noch lange keine nachhaltige Verbesserung und lässt noch viel Raum für willkürliche und teilweise sehr unterschiedliche Entscheidungen. Zu fordern sind Maßnahmen, die die Situation der Erziehenden in die Entscheidungsprozesse grundsätzlich mit einbezieht. Auch nach Corona sind die Rahmenbedingungen weiterhin stark verbesserungsbedürftig, der Ausbau der Kinderbetreuungsplätze entsprechend dem tatsächlichen Bedarf, durch qualifiziertes Fachpersonal, das tariflich bezahlt wird, kostenlose Mahlzeiten in KiTas und Schulen, einen Aushandlungsprozess in der Gesellschaft, dass Pflege- und Sorgearbeit gerecht geteilt wird. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass wir insoweit noch lange keinen gesellschaftlichen Konsens haben. Der Kampf für diese Veränderungen ist und bleibt notwendig.