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Gemeinwohlorientierte Daseinsfürsorge statt Profitorientierung

von Ingrid Jost

Paradigmenwechsel in der Krankenpflege: Die Studie „Medizin im Krankenhaus zwischen Patientenwohl und Ökonomisierung“ wollte ursprünglich nur herausfinden, warum immer mehr PatientInnen mit immer kürzerer Aufenthaltsdauer in Krankenhäusern waren. Die Befragung von 60 Ärzte und Geschäftsführer in zwölf Bundesländern ergab, dass medizinethische Grundwerte kaum eine Rolle spielen, mehr noch, dass sie teilweise auf der Strecke bleiben.

Gemeinwohlorientierte Daseinsfürsorge statt Profitorientierung

von Ingrid Jost

Paradigmenwechsel in der Krankenpflege

Die Studie „Medizin im Krankenhaus zwischen Patientenwohl und Ökonomisierung“ wollte ursprünglich nur herausfinden, warum immer mehr PatientInnen mit immer kürzerer Aufenthaltsdauer in Krankenhäusern waren. Die Befragung von 60 ÄrztInnen und GeschäftsführerInnen in zwölf Bundesländern ergab, dass medizinethische Grundwerte kaum eine Rolle spielen, mehr noch, dass sie teilweise auf der Strecke bleiben. Sie fanden heraus, dass der enorme ökonomische Druck dazu führt, dass u.a. OPs ohne medizinische Notwendigkeit durchgeführt werden und vorzugsweise lukrative Behandlungsmethoden Anwendung finden. Wirtschaftliche Interessen beeinflussen den Klinikalltag maßgeblich. Ähnlich formuliert bereits der Deutsche Ethikrat es in seiner Stellungnahme vom 5. April 2016, er sieht die Gefahr eines Normenkonflikts, wenn man das Handeln der dem Patientenwohl verpflichteten medizinischen Ethik nach primär ökonomischen Grundsätzen ausrichtet.

Des Selbstkostendeckungsprinzips, welches in der Zeit von 1972 – 1985 galt und mit dem Verbot verbunden war, im Krankenhaus Gewinne zu machen, wurde abgeschafft. So war der Weg frei für die Profitorientierung in einem Bereich, der der gemeinwohlorientierten Daseinsfürsorge vorbehalten sein sollte.

Den Preis für den Profit zahlen alle

Die Ökonomisierung geht zu Lasten von PatientInnen, dem Personal sowie der ganzen Gesellschaft.

  1. Die PatientInnen

Einer Studie aus den USA über PatientInnen mit Lungenentzündung zufolge sanken die Verweildauer um 35 %, die stationären Kosten um 25 % und die Sterblichkeit im Krankenhaus um 15 %. Allerdings gab es bei der Sterblichkeit in den ersten 30 Tagen nach der Entlassung einen Anstieg um 35 %, weitere 23 % mehr mussten wegen Rückfall erneut aufgenommen werden und auch die Zunahme der Verlegung in Pflegeheime fällt mit 42 % sehr hoch aus. Von negativen bis tödlichen Konsequenzen der vorzeitigen Entlassungen berichten auch andere Untersuchungen. Eine weitere Studie der Uni Münster weist nach, dass PatientInnen zunehmend akut behandlungsbedürftig sind und die Kosten dafür auf die Reha-Einrichtungen abgewälzt werden, während dadurch die Reha-Zeit de facto verkürzt wird. Es existiert ein Zusammenhang zwischen der Zahl der zu betreuenden PatientInnen durch eine Pflegekraft und der Sterblichkeit im Krankenhaus.

  1. Das Personal

Neben der Verweildauer der PatientInnen sind die Personalkosten das größte Einsparpotenzial. So sanken von 1991 – 2009 die Vollzeitstellen in deutschenKrankenhäusern von 334.890 auf 303.656 Stellen, während die Fallzahlen um 25 % angestiegen sind. Diese immense Arbeitsverdichtung hat gravierende Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Menschen in Pflegeberufen. Eine Analyse der Gesundheitsberufe des BKK Dachverbandes von 2017 ergab, dass der Gesundheitszustand der Pflegekräfte aufgrund der Arbeitsverdichtung besorgniserregend ist. Rund eine Million Menschen sind in der Krankenpflege tätig und etwa ½ Million in der Altenpflege. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Altenpflege 32,9 % lediglich ein befristetes Arbeitsverhältnis haben, während die Zahl im Schnitt aller Berufstätigen 14,6 % beträgt. Darüber hinaus ergab die Datenanalyse, dass Menschen in Pflegeberufen signifikant länger krank sind und mehr psychische Erkrankungen haben, als der Durchschnitt aller ArbeitnehmerInnen. Keine Zeit zu haben, Sterbende in ihren letzten Minuten zu begleiten, Angehörige vom nahenden Tod in Kenntnis zu setzen, Sterbende auf den Gang zu schieben, weil das Zimmer bereits für die nächsten gebraucht wird, das alles hinterlässt tiefe Spuren auf der Seele.“ So verwundert es nicht, dass die Verweil­dauer im Beruf in der Alten­pflege mit 8,4 Jahren und in der Kranken­pflege mit 7,5 Jahren äußerst niedrig liegt“ schreibt der DBfK.

  1. Die Gesellschaft

Die Einführung der diagnosebezogenen Fallpauschale (DRG = Diagnosis Related Groups) im Jahr 2004 war mit der Absicht verbunden, die Kosten erheblich zu senken durch stärkere Anreize für wirtschaftliches Verhalten. Man setzt auf Privatisierung, Konkurrenz und Wettbewerb. Der Grad der Privatisierung ist in kaum einem Industrieland größer als in Deutschland, das selbst die USA Anfang der 2000er überholte. Die deutschen Krankenhauskonzerne gehören zu den größten weltweit, die ihr Geschäft mit der Gesundheit machen wollen. Privatinvestoren wollen Gewinne machen. Das gelingt ihnen, indem sie sich auf lukrative Therapiemethoden konzentrieren, die Verweildauer der PatientInnen verkürzen und den Personalschlüssel senken, mit entsprechenden negativen Konsequenzen für alle.

Das Nationale Referenzzentrum zur Überwachung von Krankenhausinfektionen an der Berliner Charité schätzt, dass sich jährlich zwischen 400.000 und 600.000 mit Krankenhauskeimen infizieren. Krankenhäuser unter 400 Betten sind in Deutschland von der Pflicht befreit, eine/n Krankenhaushygieniker/in einzustellen. Norwegen und die Niederlande weisen eine wesentlich niedrigere Infektionsquote auf. Die PatientInnen in den Niederlanden werden bei der Aufnahme auf Krankenhauskeime getestet.

Obwohl die Hygiene ein Hauptrisikofaktor ist, haben sowohl die Arbeitgeber als auch die Politik versäumt, effektive Maßnahmen zu ergreifen. Deshalb hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di am 12.09.2017 dazu aufgerufen, die Desinfektion der Hände streng nach Vorschrift durchzuführen. Diese Prozedur dauerte je nach Anzahl der zu versorgenden PatientInnen pro Schicht bis zu 2 Stunden. Aufgrund der Personalknappheit, geraten die Beschäftigten automatisch in einen Gewissenskonflikt mit der Entscheidung, welche Aufgaben vorrangig sind. Das Experiment musste aufgrund der Versorgungsengpässe in zahlreichen Kliniken vorzeitig abgebrochen werden, um das Wohl der PatientInnen nicht noch zusätzlich zu gefährden. So fordert nun ver.di folgerichtig gesetzliche Vorgaben für die Personalausstattung in Krankenhäuern, die verbindlich, finanziert und bundesweit einheitlich sind. ver.di zufolge fehlen bundesweit in den Krankenhäusern 162.000 Stellen, 70.000 davon alleine in der Pflege.

 

Welches Angebot macht die Politik?

Wenn man von den im aktuellen Koalitionsvertrag einzurichtenden 8.000 Stellen ausgeht, auf die sich die Regierungsparteien geeinigt haben, so ist das noch nicht einmal der vielzitierte Tropfen auf dem heißen Stein, sondern eine bedenkliche Ignoranz der Dringlichkeit, mit der politisches Handeln zu fordern ist . Einerseits hält man es angesichts der politischen Lage für notwendig, den Rüstungsetat zu verdoppeln, andererseits werden die gesundheitlichen Risiken des Pflegepersonals, sowie der PatientInnen bis hin zu vorzeitigem Ableben billigend in Kauf genommen.

Helle Empörung erzeugte die vorgetragene Scheinlösung bei einer öffentlichen Anhörung am 15.03.2018 in Berlin bezüglich der Personaluntergrenzen im Krankenhaus aus. Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhaus-gesellschaft Georg Baum stellte den Vorschlag vor, den sie gemeinsam mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) im Auftrag der Bundes-regierung entwickelt hatten. Lediglich in sechs Bereichen sollen Personalunter-grenzen festgelegt werden und ein Drittel der Mindestbesetzung sollte aus Hilfskräften bestehen dürfen. Die Mindestbesetzung sollte zudem ein durchschnittlicher Wert innerhalb eines Quartals sein und nicht in jeder Schicht gelten. Die Unterschreitung der Vorgaben sollte erst nach Ablauf von drei Jahren sanktioniert werden. Über diesen Vorschlag waren nicht nur die Pflegemit-arbeiterInnen und die Vertreterin der Gewerkschaft, sondern auch die ParteivertreterInnen bis auf einzelne Ausnahmen enttäuscht und verärgert.

Es ist ein typisches Ergebnis wie viele andere am „grünen Tisch geplante“, als ExpertInnen gefragt waren diejenigen, die ihr Geschäft mit der Gesundheit machen und nicht diejenigen, die tagein und tagaus bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gehen und die Missstände gerne abschaffen und sich am realen Pflegebedarf der Patientinnen und Patienten orientieren wollen, statt an Fallpauschalen und Profiten. So unterstützt das verdi Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler die von Bündnis90/Die Grünen und Die Linke in den Bundestag eingebrachte Forderung nach einem Sofortprogramm zur Schaffung von jeweils 25.000 zusätzlichen Stellen in der Kranken- und Altenpflege.

Das alles wird nicht ausreichen, um eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung aller Menschen sicherzustellen. Dafür brauchen wir u.a. eine Rekommunalisierung der Krankenhäuser und Altenheime. Diese Entwicklung kann durch ein Verbot von Gewinnen in Krankenhäusern und Pflegeheime enorm beschleunigt werden. Mit einem bedarfsgerechten Personalschlüssel wird auch der Pflegeberuf wieder attraktiver und die Verweildauer in diesem Beruf entsprechend länger. Von einer gemeinwohlorientierten bedarfsgerechten Pflege profitiert die ganze Gesellschaft und das ist ein Profit, der in jedem Fall zu fordern ist.

 

 

 

Literatur

Broschüre Krankenhaus statt Fabrik, 2. Aufl.
(787,79 kB)

https://www.bkk-dachverband.de/publikationen/bkk-gesundheitsatlas/

https://www.ruhrnachrichten.de/Staedte/Dortmund/Personalmangel-der-an-Koerperverletzung-grenzt-1232940.html

http://www.dbfk.de/manifest/der-hintergrund/

http://www.abfallmanager-medizin.de/themen/krankenhausinfektionen-medizinische-soziale-und-oekonomische-relevanz/

http://gesundheit-soziales.verdi.de/themen/entlastung/++co++0f421dc2-97b2-11e7-82d5-525400f67940

https://www.aerzteblatt.de/archiv/53507/Auswirkungen-der-DRG-Einfuehrung-Die-oekonomische-Logik-wird-zum-Mass-der-Dinge

https://volksentscheid-gesunde-krankenhaeuser.de/2018/03/28/unverantwortliches-zeitspiel-bei-personalvorgaben/

https://gesundheit-soziales.verdi.de/themen/mehr-personal/++co++0a4cb70a-2925-11e8-bf06-525400423e78