Detailansicht NEWS

Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf

Ingrid Jost

Ingrid Jost, Mitglied des LISA-Sprecherinnenrats, hatte am Thementag der LISA-Mitgliederversammlung am 26.11.2016 einen Workshop zum Thema "Wohnsituation von Frauen" durchgeführt, der auf reges Interesse stieß. Hier findet ihr ihre schriftlichen Ausführungen, die durch viele mündliche Beispiele ergänzt worden sind.

In unsicheren Zeiten ist die eigene Wohnung ein Rückzugsort, der Schutz gewährt und Intimität und Privatheit sicherstellt. Viele Menschen leben Jahre oder gar Jahrzehnte in derselben Wohnung, kennen ihr Quartier und die Nachbarschaft gut, helfen sich mitunter gegenseitig und sind sozial gut vernetzt. Wenn sich die Lebens- oder Arbeitssituation ändern, kann es vorkommen, dass dieser sichere Rückzugsort aufgegeben werden muss, wegen Arbeitsplatzverlust, weil die Familie oder das Einkommen kleiner geworden sind und die Wohnung deshalb zu teuer geworden ist. Hinzu kommen andere Risiken, die außerhalb der Kontrolle der Mieterinnen und Mieter liegen. Viele Menschen können auch die Verzweiflung nachvollziehen, wenn alte Menschen wegen Armutsrenten oder Pflegebedürftigkeit ihr Zuhause verlassen müssen, die gewohnten schützenden Mauern und das soziale Netz verlieren.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die Situation von Geflüchteten verwiesen, die monatelang und manchmal jahrelang in Sammelunterkünften zu hausen gezwungen sind.

Auch die Frauen, die vor häuslicher Gewalt im Frauenhaus Zuflucht suchen, finden viel zu häufig keine schützende Zuflucht, 2015 mussten allein in Duisburg 353 Frauen abgewiesen werden.

Wohnen im städtischen Raum
Das Wohnen in der Stadt war anfänglich verbunden mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Das Wachstum der Städte war eng verknüpft mit den angesiedelten Industrien und den jeweiligen Arbeitsplätzen. Sie bescherten der Stadt entsprechende Einnahmequellen und Wohlstand, der neue Gestaltungsspielräume eröffnete, die auf der Basis der kommunalen Selbstverwaltung der Städte unterschiedlich genutzt worden sind.

Heute sind viele Großstädte Ballungszentren der Armut.
Mit dem gesellschaftlichen Wandel ändert sich auch der Wohnungsbedarf
Über 40 % der Haushalte sind Einpersonenhaushalte, in den größten Städten sogar über 50 % mit den Zweipersonenhaushalten zusammen sind das 75 % der Wohnungsnachfragen. Lediglich 25 % der Nachfragenden sind Familien mit Kindern. Die durchschnittliche Haushaltsgröße beträgt 2,0 % (Wohnverhältnisse privater Haushalte, Wiesbaden 2013)
Faktoren, die zur Verkleinerung der Haushalte beitragen:

• zunehmende Alterung der Gesellschaft
• Auszug von Kindern
• Versterben einer Partnerin oder eines Partners
• Kinderlosigkeit mit deutlichen regionalen Unterschieden
• Selektive Abwanderung in bestimmten Regionen

Laut Statistischem Bundesamt sind im Jahr 2015 in Deutschland mehr als 17 Millionen Menschen 65 Jahre und älter. Neben Italien hat Deutschland den höchsten Anteil der Bevölkerung im Senioren-Alter in Europa, nach Angaben von Eurostat liegt er bei 20,8 Prozent. Das Land mit der jüngsten Bevölkerung in Europa ist mit einem Senioren-Anteil von 7,7 Prozent die Türkei.

Mietwohnungen und Wohneigentum in Deutschland
Deutschland liegt mit einer Wohneigentumsquote von 45% unter dem EU-Durchschnitt von 60 %. Haushalte mit einem Haushaltsnettoeinkommen von über 3.600 € wohnen zu ca. 70% im Eigentum und zu 30% zur Miete. Bei Haushaltsnetto-einkommen unter 1.500 € kehrt sich das Verhältnis um, 70 % wohnen zur Miete und 30% im Eigentum. 
Wohneigentum wird teils ererbt, teils erworben und ist deshalb vom Einkommen oder Vermögen abhängig, die in der Regel unterschiedlich verteilt sind, Frauen verfügen aufgrund ihres niedrigeren Vermögens und Einkommens über weniger Wohneigentum.. 
Alleinlebende Ältere sind eher armutsgefährdet (24 %) als Paarhaus¬halte (10 %) ab 65 Jahre. Darüber hinaus sind älte¬re Frauen (17 %, Männer: 12 %) und Ältere in Ost¬deutschland (17 %, Westdeutschland: 14 %) eher gefährdet. Die Gefahr, in Altersarmut zu geraten, nimmt zudem bei Hochbetagten (80 Jahre und äl¬ter) zu. 
(Lebenslagen und Einkommenssituation älterer Menschen – Implikationen für Wohnungsversorgung und Wohnungsmärkte August 2015)

Formen des Zusammenlebens und alternative Wohnformen
Soziale Beziehungen zwischen den Mitgliedern eines Haushalts haben sich gewandelt. Im Jahr 2014 lebten 17,5 Millionen Ehepaare und 2,9 Millionen gemischt- oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften in Deutschland, zusammen also rund 20,4 Millionen Paare. 18,0 Millionen Menschen wohnen allein ganz oder größtenteils (89 %), eher selten im Haushalt mit anderen Mitbewohnern (11 %). 2,7 Millionen Menschen waren als Mütter oder Väter alleinerziehend.�

Alternative Lebensformen haben seit 2004 zahlenmäßig an Bedeutung gewonnen. Immer mehr Menschen leben allein, die Zahl der Alleinstehenden erhöht sich um 2,5 Millionen, das entspricht einem Anstieg von 16 %. Die Zahl der Lebensgemein-
schaften ist innerhalb der betrachteten zehn Jahre um 451.000 (+ 18 %) gestiegen, die der Alleinerziehenden um 210.000 (+ 8 %). Im Jahr 2014 gab es in Deutschland rund 1,6 Millionen Ehepaare weniger als noch vor zehn Jahren. Das entspricht einem Rückgang von 8 %.
Seit 2001 bietet ein Lebenspartnergesetz den rechtlichen Rahmen für gleichgeschlechtliche Paare, deren Zahl seit 2006 zahlenmäßig erhoben wurde und in dem Jahr 12.000 eingetragene Lebenspartnerschaften erfasst hat. 2014 ist deren Zahl auf 41.000 Paare in einem Haushalt angewachsen, sie hat sich also mehr als verdreifacht. 24.000 der Paare waren Männer und rund 17.000 Paare Frauen. 
Im Jahr 2014 waren 1,5 Millionen Mütter und 180.000 Väter alleinerziehend, d.h. 
90 % der alleinerziehenden sind Mütter und 10% Väter. Der Anteil der alleinerziehenden Väter ist von 12 % im Jahr 2004 auf 10 % im Jahr 2014 zurückgegangen.� (Formen des Zusammenlebens bpb)

• Studierende in Seniorenheimen
• Alte Menschen in WG´s
• Wohnen für Mithilfe
• Autofreies Wohnen 
• Beginenhöfe in Bielefeld, Unna, Essen, Dortmund und Berlin
• Kunst in leeerstehenden Gewerbeflächen In Wuppertal, Mönchengladbach und Essen

Gentrifizierung
Der Begriff "Gentrifizierung" ist nicht neu, sondern wurde in den 1960er Jahren von der britischen Soziologin Ruth Glass geprägt, die Veränderungen im Londoner Stadtteil Islington untersucht hat. Der Begriff ist von "gentry" (niederer Adel) abgeleitet und er beschreibt seither sozialräumlicher Entwicklungs- und Veränderungsprozesse von Stadtquartieren. Erneuerungsmaßnahmen und/oder Eigentümerwechsel zu Gunsten einkommensstarker Haushalte in attraktiven urbanen Wohnlagen zu Lasten von weniger verdienenden Bevölkerungsgruppen. In London ging es damals um das Eindringen und die Vertreibung aus Vierteln der Arbeiter_innenklasse.

Während 1997 noch 600.000 Wohneinheiten im Jahr 1997 fertiggestellt worden sind, waren es 2007 nur noch 200.000 Wohneinheiten.. 2006 gab es insgesamt knapp 40 Millionen Wohnungen in Deutschland, davon waren 26 Millionen (= 65 Prozent) Mietwohnungen: 61 Prozent der Wohnungen wurden privat angeboten und 39 Prozent waren Eigentum professioneller Anbieter.

Im Zeitraum 1999 bis 2008 haben Kommunen, Bund und Länder 553.000 Wohneinheiten aus ihrem Bestand und damit auch entsprechende Verfügungsrechte verloren, private Eigentümer, darunter viele ausländische Finanzinvestoren, verzeichneten einen Zugewinn von 627.000 Wohneinheiten. Der steigende Zuzug einkommensstärkerer Haushalte erhöht die Gefahr von Gentrifizierung in privatem Wohneigentum in attraktiven Lagen. Durch den Verkauf kommunaler Wohneinheiten kommt es zu einem Steuerungsverlust der öffentlichen Hand.

Durch die Vertreibung der einkommensschwachen Haushalte ergeben sich auch Mehrkosten der öffentlichen Hand für die Absicherung des Wohnens. Neuanmietungen sind häufig teurer und zwingen häufig zu Wohngeldbezug und dort wo der Wohnraum knapp ist, steigt das Risiko der Obdachlosigkeit.

Das Ende des sozialen Wohnungsbaus und seine Folgen
In den 1980er Jahren eine Vermarktlichung des Wohnungssektors statt. Des sozialen Wohnungsbaus wurde auf ungefähr 74.000 Einheiten pro Jahr reduziert. Die Bundesregierung betrachtete den Wohnungsmarkt als ausgeglichen und die Bemühungen der öffentlichen Hand sowie private Investorentätigkeit als ausreichend und die Wohnungsversorgung im Lande als ausgezeichnet, unbeeindruckt von den Wohnungsengpässen am Ende der 1980er Jahre. Wohnungsbauminister Oscar Schneider: "Die Wohnungsversorgung in unserem Lande ist nicht gut. Sie ist nicht sehr gut. Sie ist ausgezeichnet."

In den 1990er Jahren wurde offensichtlich, dass die Subventionen die die Adenauerregierung für die Eigenheimförderung beschlossen hatte, nach dem Krieg nur zu einem leichten Anstieg geführt hat andere Länder waren da entschieden erfolgreicher. Durch die Abzugsfähigkeit der Schaffung von Wohneigentum verzichteten Bund, Länder und Gemeinden 1996 auf 12,8 Milliarden Steuern. 
(http://www.bpb.de/apuz/183442/wohnungspolitik-seit-1945?p=all)

Die linke Antwort auf die Wohnungsfrage

Für bezahlbare Mieten und sozialen Wohnungsbau:
Spekulation mit Wohnraum stoppen

Wohnungen sind zu lohnenden Objekten für Finanzspekulationen geworden. Bürgerinnen und Bürger wehren sich in Initiativen teilweise erfolgreich gegen die Verdrängung einkommensschwacher Anwohnerinnen und Anwohner aus ihren Stadtteilen. Sie kämpfen gegen Abriss, Umwandlung und Zweckentfremdung sowie gegen Leerstände aus spekulativen Gründen. 
.
Die Vertreibung von Mieterinnen und Mietern erfolgt auch durch hochpreisige Sanierungen, die Höchstmieten zur Folge haben, damit die Rendite stimmt, besonders auch in den Ballungsräumen. Grundsicherungsbeziehende und Hartz-IV-Betroffene werden zum Umzug gezwungen. Ganz Quartiere werden auf einmal zu teuer für die Bevölkerung, die mitunter seit Jahrzehnten dort zuhause waren. In sozialen Ballungsräumen ist der soziale Wohnungsbaut faktisch zum Erliegen gekommen. Der Staat verzichtet auf seine Steuerungsfunktion und subventioniert stattdessen die Bau- und Immobilienwirtschaft.

Die Wohnungsfrage ist eine zentrale soziale Frage geworden. Die Situation verschärft sich durch Finanzinvestoren, die auf der Suche nach lohnenden Renditeobjekten reihenweise Wohnungen aufkaufen, während in strukturschwachen Regionen viele Wohnungen leerstehen. Eine soziale Stadtentwicklung ist wegen des Rückzugs des Staates kaum möglich.

Die Liberalisierung des Wohnungsmarktes hat Folgen: 
• bezahlbarer Wohnraum ist kaum mehr zu finden ist, 
• es fehlt barrierefreier Wohnraum.
• Der Wohnungsneubau ist innerhalb der
vergangenen 20 Jahren auf ein Drittel geschrumpft.
• Kommunale Wohnungsbestände werden privatisiert. 
• Mietwohnungen werden massenhaft in
Eigentumswohnungen umgewandelt und als Ferienwohnungen oder für sonstige Nutzungen zweckentfremdet. 
• Zahlreiche Wohnungen und als Wohnraum nutzbare Gewerbeimmobilien stehen aus spekulativen Gründen leer.

Durch den Abbau der Mieter_innenrechte ist es möglich, dass die Eigentümer_innen die Mieten in die Höhe treiben. Die Mietpreisbremse lässt Sanierungen als Ausnahmetatbestand gelten, sodass Mieten ins Astronomische steigen können.

Die Linke setzt sich ein für die Stärkung der Rechte der Mieterinnen und Mieter.
Wohnen ist ein Teil der Daseinsvorsorge und deshalb soll das Recht auf Wohnen im Grundgesetz verankert werden.

Es soll eine kommunale Wohnungswirtschaft aufgebaut werden, die sich am Gemeinwohl und nicht am Profit orientiert. Die Kommunen sollen unterstützt werden
beim Aufbau wohnungswirtschaftlicher Eigenbetriebe, die nicht profitierorientiert, sondern gemeinwohlorientiert sind.
Hierzu wird ein Rekommunalisierungsfonds als Bundesprogramm gefordert, das die Gemeinden in die Lage versetzt, privatisierte Wohnungsbeständ wieder zurückzukaufen. Gemeinden sollen ein gesetzlich geregeltes Vorkaufsrecht für Mietwohnungen erhalten. Die Demokratisierung von Wohnungsgenossenschaften soll ausgebaut und das Genossenschaftsrecht geändert werden, damit die Genossenschaftsmitglieder mehr Mitsprache erhalten und über die Höhe der Miete sowie über Investitionen und Modernisierungen selbst entscheiden können. 
Es soll vollständige Rechenschaftspflicht über die Geschäftsprozesse und Geldströme der Genossenschaften gegenüber ihren Mitgliedern eingeführt werden.

Die Sanierung des bestehenden Wohnbestandes soll auf ökologischer-energetischer Grundlage erfolgen und der Neubau von Sozialwohnungen wiederbelebt und kontinuierlich erhöht werden. 
(Bundeswahlprogramm die Linke 2013)

Die Entscheidungen, die in kommunalen Gremien, auf Landes- und Bundesebene getroffen werden, sind der Praxistest für diese Vorhaben.