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Warum am 25.11?

Ayse Fehimli - Kuzu, Sprecherin BAG LISA

Wir leben in einer Zeit, in der es nicht angebracht ist, zu schweigen. Wir befinden uns im Kampf. Der 25. November ist ein Frauenkampftag gegen Geschlechterungerechtigkeit, gegen Sexismus, patriarchale und staatliche Gewalt, gegen Krieg, Rassismus und das kapitalistische System. Es ist der Tag, an dem die als Mirabel - Schwestern bekannt gewordenen Mitglieder der Clandestina - Bewegung in der Dominikanischen Republik, Patria Mercedes, Minerva Argentina und Maria Terasa, zum Symbol des Kampfes gegen die Diktatur des damaligen Machthabers Rafael Leonidas Trujillo wurden. Am 25. November 1960 wurden sie vergewaltigt und zu Tode gefoltert. Nach ihrem Tod breitete sich die Widerstandsbewegung im ganzen Land aus und ein Jahr später wurde der Diktator gestürzt. 1981 wurde auf einer Frauenkonferenz in Kolumbien der 25. November zum internationalen Kampf- und Solidaritätstag gegen Gewalt an Frauen ausgerufen. 18 Jahre später, im Jahr 1999, wurde der 25. November auch von den UN als „Internationaler Kampftag für die Beendigung der Gewalt gegen Frauen“ anerkannt. 

Aber die Mirabel-Schwestern waren weder die ersten, noch die letzten Frauen, die Gewalt erfahren haben.

Am 9. Januar 2013 wurden in Paris die drei kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansiz (Sara), Fidan Dogan (Rojbin) und Leyla Saylemez (Ronahi) grausam ermordet. Dieser politische Mord fiel in eine Zeit, in der die Hoffnung auf Frieden in Kurdistan aufgeblüht war. Es wurde damit bezweckt, die Sehnsucht nach einem würdevollen Frieden durch den Mord an Frauen zunichte zu machen. Tausende Frauen gingen in Kurdistan und vielen weiteren Orten der Welt auf die Straßen, um gegen patriarchale Ausbeutung und Gewalt Widerstand zu leisten. Wir gedenken heute Sara, Rojbin und Ronahi. Unsere Wut und Entschlossenheit sind ungebrochen.

In der Türkei werden unter der AKP-Regierung systematisch Frauenrechte abgebaut. Alle Formen von Gewalt gegen Frauen haben unter Ministerpräsident Erdogan stark zugenommen. Die Täter bleiben fast immer ungestraft. Innerfamiliäre Gewalt und Frauenmorde finden in aller Öffentlichkeit statt. Die politische Organisierung von Frauen wird durch die staatliche Repression stark erschwert. Unzählige Politikerinnen, Rechtsanwältinnen, Akademikerinnen und Journalistinnen wurden inhaftiert. Im staatlichen TV-Sender TRT wird Gewalt gegen Frauen vor einem breiten Publikum legitimiert. Dort treten Personen auf, die sich offen gegen eine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen aussprechen und beispielsweise fordern, schwangere Frauen sollten nicht auf die Straße treten oder Frauen sollten nicht berufstätig sein, weil dadurch die Familie zerstört werde. 

Liebe Frauen, Gewalt gegen Frauen wird in vielen Formen ausgeübt, physisch, sexuell oder psychisch. Dazu gehören auch Drohungen, Zwang, Freiheitsberaubung und Entziehung ökonomischer Lebensgrundlagen. Wir sind mit Zwangsverheiratungen und so genannten „Ehrenmorden“ konfrontiert. Auch die Ausbeutung von Frauenarbeit im Privat- und im Arbeitsleben ist eine Form von Gewalt.

Gewalt gegen Frauen findet auch hier in Deutschland statt. Statistisch gesehen leidet eine von vier Frauen unter Gewalterfahrungen. Jedes Jahr werden 8000 Vergewaltigungsfälle bekannt. 40 000 Frauen fliehen jährlich vor Gewalt in Frauenhäuser. Im Jahr 2011 wurden in Deutschland 313 Frauen ermordet; in 154 Fällen handelte es sich um so genannte Beziehungstaten. Wenn eine Frau sich von ihrem Partner trennen will, erhöht sich das Risiko für sie, ermordet zu werden, um das Fünffache. Morde an Frauen werden hierzulande zumeist als „Familiendrama“ bezeichnet. Handelt es sich um Frauen nicht-deutscher Herkunft, wird hingegen von „Ehrenmorden“ gesprochen. Mit diesem Sprachgebrauch wird die Problematik verschleiert und Rassismus geschürt.

Als Frauen kämpfen wir überall auf der Welt, auf den Straßen, in unserem eigenen Zuhause oder am Arbeitsplatz gegen Vergewaltiger und diejenigen, die Vergewaltigungen rechtfertigen, indem sie uns als Prostituierte bezeichnen. Wir kämpfen dagegen, im Namen der „Ehre“ ermordet oder als Ware verkauft zu werden. Wir kämpfen gegen diejenigen, die aus unseren Körpern Profit schlagen wollen und die uns Lektionen zum Thema „Moral“ erteilen, während sie unsere Arbeitskraft ausbeuten. Wir kämpfen für unser Dasein. 

Im kapitalistischen System ist die Geschlechterungerechtigkeit eine der schärfsten gegen Frauen angewandten Waffen. Die Verarmung von Frauen und ihre Verwertung als Billiglohnarbeiterinnen ist Teil dieser Gewalt. Wir werden in den Palästen der Bosse ausgebeutet und verlassen die Gerichtsmedizin im Sarg. Wir haben genug davon, unterdrückt zu werden, auszuhalten und abzuwarten. Wir werden die Paläste des Patriarchats niederreißen und uns befreien. Wir haben keine Angst vor eurer Wut, euren Fesseln und euren Folterkammern. Wir leisten Widerstand und wir schreien es heraus: Wir Frauen wollen frei leben. Wir wollen keine Sklavinnen sein, sondern aus freiem Willen selbst über unser Leben entscheiden.

Im Gedenken an die Mirabel - Schwestern und die drei in Paris ermordeten kurdischen Revolutionärinnen grüßen wir alle Frauen, die gegen das patriarchale Herrschaftssystem kämpfen. Wir verurteilen jede Form patriarchaler Gewalt und rufen alle Frauen zum organisierten Kampf dagegen auf.

Es lebe die Frauensolidarität! 

 Ayse Fehimli - Kuzu,  sozialistische und feministische LISA Frauen Sprecherin