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Sylvia Gabelmann
Mitglied im Bundestag für DIE LINKE ist auch feministisch engagiert.
"Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau – ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus"
Alexandra Kollontai
Ich kämpfe für eine friedliche Welt ohne Unterdrückung – für alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Religion. Und für eine Welt, in der die Menschheit als Teil der Natur im Einklang mit ihr lebt.
- Welche Bedeutung hat Feminismus für dich?
Die Kurzversion ist die Aussage von Alexandra Kollontai: "Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau – ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus".
Die ausführlichere Version führt mich zurück in meine frühe Jugend. Ich habe schon früh die wirtschaftliche Abhängigkeit meiner Mutter von meinem Vater wahrgenommen und mich damit auseinandergesetzt. Es war eine schreckliche Vorstellung für mich, aufgrund ökonomischer Zwänge in einer Beziehung gefangen zu sein. Es folgten Diskussionen mit meiner Mutter über den geldwerten Anteil ihrer Sorgearbeit und dass sie keinerlei Grund hätte, der Argumentation meines Vaters zu folgen, demzufolge derjenige bestimmt, der "das Geld nach Hause bringt". Mir gegenüber kam diese Haltung zum Ausdruck mit dem Satz meines Vaters: "Solange du deine Füße unter meinen Tisch streckst, machst du, was ich sage." Folge davon war, dass ich möglichst schnell finanziell unabhängig sein wollte und sehr früh faktisch ausgezogen bin. Erst später wurden mir die damaligen juristischen Grundlagen einer Ehe bewusst: Meine Mutter gehörte zu der Generation Frauen, deren Dienstverhältnis von ihrem Ehemann gekündigt werden konnte und deren Ehemänner das von ihren Frauen in die Ehe eingebrachte Vermögen verwalten und allein über die daraus erwachsenen Zinsen und auch über das Geld aus einer Erwerbstätigkeit der Ehefrau verfügen konnten.
Eine weitere frühe Erinnerung ist die Erzählung darüber, dass meine Großmutter mütterlicherseits sich in den 50er Jahren hat scheiden lassen und wie schwer diese Zeit für sie war. Ich habe ihren Mut und ihre Konsequenz bewundert.
Und ein weibliches Vorbild in meiner Familie war die Zwillingsschwester meines Großvaters väterlicherseits, die nach Ende des ersten Weltkriegs mit 19 Jahren alleine in die USA ausgewandert ist. Leider habe ich sie nie kennen gelernt.
In den 70er Jahren kam im sehr persönlichen Erleben die Thematik der ungewollten Schwangerschaft hinzu – die ersten Freundinnen mussten nach England oder Holland fahren, um eine Schwangerschaft unterbrechen zu lassen.
Es erschüttert mich, dass wir immer noch über den §218 und (völlig absurd!) über den §219a diskutieren müssen. Für mich ist völlig klar, dass niemand das Recht haben darf, über meinen Körper zu bestimmen – mein Bauch gehört mir!!!
- Mit welchen Argumenten würdest du für Feminismus werben?
Werben möchte ich für Feminismus nicht – die Notwendigkeit allerdings, für Frauenrechte zu kämpfen, betone ich immer und überall. Mein Verständnis von Feminismus geht hier weit darüber hinaus, „nur“ die gleichen Rechte wie Männer zu fordern. Wir brauchen nichts weniger als eine andere Welt. Das heißt, ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht den Profit. Ich kämpfe für eine friedliche Welt ohne Unterdrückung – für alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Religion. Und für eine Welt, in der die Menschheit als Teil der Natur im Einklang mit ihr lebt.
Deshalb finde ich auch eine Differenzierung des Begriffs des Feminismus notwendig – ich verstehe mich als sozialistische Feministin.
In unserer heutigen Welt bestehen nach wie vor große wirtschaftliche Abhängigkeiten von Frauen aufgrund der ungleichen Bezahlung (gender pay gap), Haus- und Sorgearbeit sind ungleich zu Lasten von Frauen verteilt, das Selbstbestimmungsrecht über unsere Körper ist massiv eingeschränkt durch §218 und §219a. Gewalt gegen Frauen bis hin zu Feminiziden ist ein weiteres gewichtiges Thema, das deutlich macht, dass wir Frauen nach wie vor für unsere Rechte kämpfen müssen.
Insgesamt gehen sämtliche Krisen stärker zu Lasten von Frauen. Auf der Flucht vor Hunger, Klimakatastrophen und Krieg sind Frauen besonders gefährdet, der Pflegenotstand wird auf unseren Schultern ausgetragen und auch die Covid 19-Pandemie trifft Frauen besonders hart.
Nicht zu vergessen zeigt das Erstarken der extremen Rechten (nicht nur in Deutschland) wie gefährdet Frauenrechte nach wie vor sind. Der Druck von rechts, alte Rollenmuster und wirtschaftliche Abhängigkeiten wieder herzustellen und Selbstbestimmungsrechte zu beschneiden, ist in den letzten Jahren deutlich stärker geworden.
Deshalb ist sozialistischer Feminismus antirassistisch und antifaschistisch.
- In welcher Weise bringst du Feminismus in deine politischen Themen ein?
Ich arbeite als Abgeordnete im Deutschen Bundestag im Gesundheitsausschuss und bin von Beruf Apothekerin.
Gesundheitspolitik ist in vielerlei Hinsicht Frauenpolitik. Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, ist weiblich. Beim Pflegepersonal ist das augenfällig, es ist aber im gesamten Gesundheitsbereich so. Je höher die Positionen allerdings sind, desto mehr kippt das Geschlechterverhältnis zugunsten der Männer.
Das heißt, die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen (Arbeitszeit, Bezahlung, Arbeitsbelastung, Urlaub) betrifft vor allen Dingen Frauen – nicht zuletzt Alleinerziehende. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine Forderung, die vor allem (aber nicht nur) Frauen zu Gute kommt.
Zentral für mich ist die ungleiche Verteilung von Zeit – notwendig ist eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich!
Ein feministischer Blick ist aber zum Beispiel auch notwendig in Bezug auf die Arzneimittelforschung: immer noch werden die physiologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu wenig berücksichtigt. Ebenso sieht es in der Diagnostik aus – relativ bekannt ist inzwischen die sehr unterschiedliche Symptomatik bei Herzinfarkt zwischen Männern und Frauen, aber es wird zu wenig darüber geforscht und publiziert, ob das auch bei anderen Erkrankungen der Fall ist.
Das Verordnungsverhalten in Bezug auf Arzneimittel und besonders auf Psychopharmaka ist ein weiteres Thema: Frauen bekommen zwei bis drei Mal häufiger Psychopharmaka verordnet als Männer.
Weitere Themen sind gewaltfreie Geburt, Arbeitsbedingungen der Hebammen und die Situation pflegender Angehöriger (weit überwiegend Frauen) - um nur einige zu nennen.
- Welche Frage bewegt dich, wenn es um das Thema Feminismus geht?
Sehr stark steht bei mir im Moment die Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper im Mittelpunkt. Der Kampf um sichere und legale Schwangerschaftsunterbrechungen bewegt Frauen auf der ganzen Welt. In Deutschland ist das der Kampf für die Abschaffung von §218 und §219a.
Ein weiteres zentrales Thema ist die Gewalt gegen Frauen, deren Ausmaß in Deutschland immer noch stark unterschätzt wird. Überwiegend handelt es sich um häusliche Gewalt bis hin zum Femizid (Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts). Täglich versucht ein Mann in Deutschland, seine (Ex-)Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag findet ein solches Verbrechen tatsächlich statt. Das sind die offiziellen Zahlen. Es ist von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer auszugehen.
- In welcher Weise beeinflussen nach Deiner Einschätzung die Entscheidungen, die während der Pandemie getroffen worden sind, die Situation von Frauen?
Ein Lockdown verschärft bekannte Problematiken – die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit kommt voll zum Tragen. Es sind überwiegend Frauen, die im Home Office die Kinderbetreuung stemmen, Home Schooling wird überwiegend von Frauen organisiert, die überwiegend von Frauen geleistete Sorgearbeit für Ältere und Kranke wird belastender. Gravierend sind die katastrophalen Bedingungen im Pflegebereich in Krankenhäusern und Altenheimen – weniger eine Folge der Entscheidungen während der Pandemie als vielmehr in der jüngeren Vergangenheit – Privatisierungen und Stellenabbau sind die Ursache für die belastenden Arbeitsbedingungen heute.
Es gibt noch viel zu tun und deshalb bin ich sehr froh darüber, dass die Frauenbewegung weltweit wieder auf dem Vormarsch ist!
Liebe Sylvia die BAG LiSA dankt dir herzlich für Deinen Beitrag