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Nichtwähler:innen haben eine Strategie verdient

Inge Hannemann

Natürlich kann eine Partei nicht von jedem:r Nichtwähler:in jeden Wunsch von den Augen ablesen und einzeln in einem Papier aufführen. Darum geht es auch nicht. Es geht jedoch darum, den Leser:innen Perspektiven aufzuzeigen. Oder noch mutiger: Visionen, die mit einer progressiven sozialen feministischen emanzipatorischen Politik möglichen sein könnten.

Nichtwähler:innen haben eine Strategie verdient

„Gib mir was, was ich wählen kann“, titelt ein Buch der „Denkfabrik“ des „Forum für Menschen am Rande Neue Arbeit Stuttgart“. Das Buch zitiert und skizziert Langzeiterwerbslose Nichtwähler:innen die von der Politik enttäuscht sind und sich als Bürger:innen zweiter Klasse fühlen. In emotionalen und authentischen Aussagen begründen sie ihr Misstrauen und ihre Enttäuschung gegenüber der Politik. Die Landtagswahl in Baden-Württemburg im März diesen Jahres ergab, dass nur drei Prozent der Frauen, drei Prozent der Arbeiter:innen und nur zwei Prozent der Rentner:innen die Linke gewählt haben. Im Vergleich dazu lagen die Anteile bei den Arbeiter:innen bei der AfD bei 26 Prozent und bei der CDU bei 23 Prozent. Nun soll man ja Äpfel nicht mit Birnen vergleichen und die AfD ist sowieso mit nichts zu vergleichen. Da hänge ich mich bewusst sehr weit heraus. Trotzdem gibt mir das zu denken. Wo ist das eigentliche Linke Klientel hin, was man gemeinhin ansprechen möchte oder zumindest früher angesprochen hat (Arbeiter:innen, Erwerbslose, Frauen, von Armut Betroffene, Nichtwähler:innen)? Wenn nicht Die Linke, wer sonst beackert das feministische und das soziale Feld? Warum konnte die Linke bei dieser Wahl nicht profitieren? Gut, wer Baden-Württemberg kennt, weiß, dass dieses Bundesland von je her sehr konservativ ist und lieber an der Automobilbranche klebt als am sozialen Fortschritt. Nichtsdestotrotz bleibt die Linke in den allgemeinen Wahlumfragen zwischen sieben und neun Prozent hängen. Auch in der derzeitigen Corona-Pandemie kann die Linke keine Stimmen für sich gewinnen.

Für eine solidarische Zukunft nach Corona - Vorschläge zur strategischen Positionierung der LINKEN

In diesem Abschnitt komme ich ein wenig auf die Vorschläge zur strategischen Positionierung der LINKEN zu sprechen. Dabei möchte ich weniger auf die Inhalte eingehen, sondern vielmehr auf die Strategie und deren Aufbau. Jede Strategie hat bekanntermaßen eine Analyse im Vorfeld abgeschlossen. D.h., die nachfolgende Strategie ist das Fundament, aus dem die Botschaften folgen. Oder die Positionierung, wie es die Überschrift der Linken schon verrät. Dabei ist DIE LINKE die Absenderin und möchte, am besten „soll“ mit ihren Zielen und Forderungen Botschaften an die Zielgruppen versenden. Ziele und Zielgruppen hängen eng zusammen und stehen in einer Wechselwirkung zueinander. Nehme ich als Beispiel die Gruppe der „Nichtwähler:innen“, die aktuell bei rund 24 Prozent (Forsa) liegt. Eine sehr große Gruppe, die im Strategiepapier allerdings nur mit einem Satz: „Dazu gehört die Hilfe und das Kümmern um all jene, die sich verlassen und von niemandem mehr repräsentiert fühlen“, erwähnt wird.

Was ist nun die Wechselwirkung? Die Wechselwirkung ergibt sich aus den Fragen: Woher kenne ich die Nichtwähler:innen und wer sind diese? Aus diesen Fragen muss ich erkennen, dass meine Zielgruppe(n) keine abstrakten strategischen Größen sind, sondern lebendige Wesen. Die Wechselwirkungen kann ich erst dann erkennen, wenn ich versuche eine Beziehung zu meiner Zielgruppe aufzubauen. Wie war das bisherige Wahlverhalten? Welche Hoffnungen und Ängste prägen sie oder ihn? Das erkennt auch das Strategiepapier, wenn es von Haustürprojekten schreibt. Allerdings kann ich erst eine Kommunikation entwickeln, wenn mir meine Zielgruppe bekannt ist. Und hier kommt die Lücke im Strategiepapier deutlich zum Vorschein. Die Lücke der Nichtwähler:innen, wenn sie nicht erwähnt wird. Wer sich mit einer Theorie beschäftigt, ohne die Belange zu kennen, betätigt sich als konzeptioneller Seiltänzer ohne Netz. Natürlich kann eine Partei nicht von jedem:r Nichtwähler:in jeden Wunsch von den Augen ablesen und einzeln in einem Papier aufführen. Darum geht es auch nicht. Es geht jedoch darum, den Leser:innen Perspektiven aufzuzeigen. Oder noch mutiger: Visionen, die mit einer progressiven sozialen feministischen emanzipatorischen Politik möglichen sein könnten. Das Strategiepapier hat viele wichtige Punkte inkludiert und bleibt doch mehrheitlich bei denen hängen, die sozial mehr oder weniger „arbeitnehmertechnisch“ gefestigt sind.

Von Armut Betroffene gehen weniger wählen

Zahlreiche Studien belegen, dass von Armut Betroffene weniger wählen. Je höher das Einkommen, desto höher die Wahlbeteiligung, so die Bertelsmann-Analyse der Daten der letzten Bundestagswahl 2017. Sie fühlen sich politisch ausgeschlossen. „Langzeitarbeitslose Menschen fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Infolgedessen entziehen sie den Politikern das Vertrauen“, resümiert Friedrich Kern in seiner zusammenfassenden These aus „Gib mir was, was ich wählen kann“ (S. 51). Ralf Dahrendorf fasst es so zusammen: Die Reichen können auch ohne sie reicher werden; Regierungen können ohne ihre Stimmen [Anm. er spricht hier von der Unterklasse der Armen] wiedergewählt werden (…) (Der Wiederbeginn der Geschichte; S. 121). Gleichzeitig engagieren sich von Armut Betroffene weniger politisch: „Während in den sozialen Lagen „Armut“ und „Prekarität“ nur jeweils 4 Prozent angeben, politisch aktiv zu sein, so steigt dieser Anteil über die sozialen Lagen hinweg auf immerhin 16 Prozent in der sozialen Lage „Wohlstand“, so die Auswertung nach dem 6. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (Januar 2021, S. 395).

Unabhängig von den Erwerbslosen betrifft die von Armut Betroffenen viele Personen. Diese sind Alleinerziehende, mehrheitlich Frauen in der Pflege von Angehörigen, Minijober:innen, Kurzarbeiter:innen, Menschen in Sammelunterkünften, Geflüchtete, Obdach- und Wohnungslose, EU- und Armutsrentner:innen sowie eine nicht unerhebliche Dunkelziffer an Menschen, die vor Scham ihre Armut verschweigen. Personengruppen, die wir häufig in der Gruppe der Nichtwähler:innen wiederfinden. Und da muss das Strategiepapier ansetzen. Mit einer Strategie und einer Sprache, die diese Menschen inkludiert und nicht exkludiert. Sei es in den Sozialen Netzwerken, sei es in zukünftigen (Wahl)-Veranstaltungen wo DIE LINKE mit ihnen und nicht über sie spricht, sie in den Medien erwähnt, ihnen einen Platz in Landes- oder sonstigen Vorständen einräumt und ihnen dazu eine Chance gibt. Eine gute Strategie bedeutet auch immer einen Schritt voraus zu sein. Dieses im Denken und im Handeln.

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